Oh no
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Eine öffentliche Auftraggeberin beauftragte die Errichtung eines großen Gebäudekomplexes mit zahlreichen Aufzügen. Als die Aufzüge drei Jahre später wegen mangelhafter Leistungserfüllung noch immer nicht in Betrieb genommen werden konnten, kündigte die Auftraggeberin den Vertrag mit dem Lieferanten. Sie hatte enormen Zeitdruck für die Inbetriebnahme des Gebäudes und errechnete, dass sie jeder Monat Zeitverlust mehrere Millionen Euro kosten würde. Die Auftraggeberin führte daraufhin ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durch, weil ihrer Ansicht nach äußerst dringliche zwingende Gründe vorlagen, die sie weder verursacht hatte noch voraussehen hatte können. Zulässig?
307 Abstimmungen
Explanation
Erklärung:
Aufträge können im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden, wenn „äußerst dringliche, zwingende Gründe [vorliegen], die nicht dem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zuzuschreiben sind, im Zusammenhang mit Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte“ (§§ 35 Abs 1 Z 4, 36 Abs 1 Z 4, 37 Abs 1 Z 4 und 206 Abs 1 Z 5 BVergG 2018).
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hatte im Anlassfall das Oberlandesgericht Frankfurt (07.06.2022 – 11 Verg 12/21) zu beurteilen. Dieses führte aus, dass äußerste Dringlichkeit vorliege, wenn eine „gravierende Beeinträchtigung für die Allgemeinheit und die staatliche Aufgabenerfüllung droht, etwa durch einen schweren, nicht wiedergutzumachenden Schaden. Als dringliche und zwingende Gründe kommen deshalb akute Gefahrensituationen und höhere Gewalt in Betracht, die zur Vermeidung von Schäden der Allgemeinheit ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln erfordern.“
Dass im gegenständlichen Fall die Dringlichkeit mit Termindruck bei der Fertigstellung des Gebäudes begründet wurde und wirtschaftliche Schäden in Millionenhöhe befürchtet wurden, war nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend: „Damit ist eine Dringlichkeit nicht ansatzweise ersichtlich. Wirtschaftliche Nachteile genügen […] grundsätzlich nicht.“