VwGH zur Abgrenzung von Eignungsanforderungen und Vertragspflichten
Trotz Erfüllung der festgelegten Eignungskriterien schied eine Auftraggeberin das Angebot einer Bieterin wegen mangelnder technischer Leistungsfähigkeit aus. Die Auftraggeberin begründete dies mit zusätzlichen personellen Anforderungen, die sich aus der Baubeschreibung ergäben. Wie beurteilt der VwGH diese Vorgehensweise?- EuGH
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Rechtlicher Kontext
Die Vergabe öffentlicher Aufträge hat an befugte, leistungsfähige und zuverlässige (geeignete) Unternehmer zu erfolgen (§ 20 Abs 1 BVergG 2018). Technisch leistungsfähig ist ein Unternehmer, wenn er technisch zur Ausführung der betreffenden Leistungen in der Lage ist. Als Bestandteil der Eignung muss die technische Leistungsfähigkeit zum gesetzlich genannten Zeitpunkt vorliegen (zB Ende der Teilnahmeantragsfrist oder Zeitpunkt der Angebotsöffnung – siehe § 79 BVergG 2018). Liegt die Eignung des Unternehmers zu diesem Zeitpunkt nicht vor, ist er auszuschließen bzw sein Angebot auszuscheiden.
Sonstige Anforderungen an die Auftragsausführung spielen erst im Zuge der Leistungserbringung eine Rolle.
Dass die Abgrenzung zwischen Eignungkriterium und sonstiger Anforderung an die Vertragserfüllung nicht immer einfach ist, hatte der EuGH zB in der Rechtssache Sanresa (EuGH 08.07. 2021, C‑295/20) gezeigt. Im aktuellen Anlassfall geht der VwGH noch einen Schritt weiter.
Ausgangsfall
Eine Sektorenauftraggeberin führte ein offenes Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich zur Vergabe von Wasserrohrlegungen und Wasserrohrauswechslungen (Bauauftrag) durch. Als Eignungskriterium zum Personal forderte sie den Nachweis eines Bauleiters oder einer Bauleiterin. In der Baubeschreibung als Teil der Ausschreibungsunterlagen war ua festgelegt, dass „mit einer eventuell notwendigen Baudurchführung mit mehreren Arbeitspartien gleichzeitig zu rechnen (nach Anordnung bzw Rücksprach mit dem AG)“ ist und „eine zwingende Arbeitsdurchführung mit zwei Arbeitspartien gleichzeitig notwendig“ ist.
Das Angebot einer Bieterin wurde (ua) ausgeschieden, weil sie zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung lediglich sechs Arbeitnehmer:innen beschäftigte und für die Erfüllung der Anforderungen aus der Baubeschreibung 16 Arbeitskräfte erforderlich wären. Die Bieterin focht die Ausscheidensentscheidung an, weil ihrer Ansicht nach die Erfüllung der Baubeschreibung ein Leistungsversprechen wäre, das nur im Auftragsfall zu erfüllen ist. Den als Eignungskriterium geforderten Bauleiter hätte sie ordnungsgemäß namhaft gemacht, weiteres „Mindestpersonal“ wäre zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit nicht gefordert gewesen.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH verwies zunächst auf seine bisherige Judikatur, wonach es auch bei fehlender Festlegung einer Mindestzahl an Arbeitnehmern möglich ist, die personelle Ausstattung eines Bieters als – objektiv – zu gering zu bewerten (VwGH 18.05.2005, 2004/04/0094). In der Folge prüfte er anhand der Festlegungen der Ausschreibung, ob eine solche objektiv zu geringe personelle Ausstattung vorlag. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die Baubeschreibung zumindest vier Arbeitspartien zu je vier Arbeitnehmern erforderlich machte. Mangels Erfüllung dieser Anforderung bestätigte er das Fehlen der technischen Leistungsfähigkeit der Bieterin.
Dass die Bieterin den als Eignungskriterium geforderten Bauleiter namhaft gemacht hatte, war nach Ansicht des Gerichtshofs nicht ausreichend. Daraus konnte nämlich noch nicht geschlossen werden, dass die technische Leistungsfähigkeit der Bieterin in Bezug auf die erforderliche personelle Ausstattung gegeben war.
Der VwGH erkannte in den Anforderungen der Baubeschreibung auch keine bloße Bedingungen für die Ausführung des Auftrags, welche (im Sinn der Rs EuGH Sanresa) erst als Leistungsversprechen durch Beauftragung einzuhalten sind. Vielmehr leitet er daraus bereits eine Anforderung an die personelle Ausstattung als Teil der technischen Leistungsfähigkeit der Bieterin ab.
Fazit
Die Judikaturlinie des VwGH ist in mehrfacher Weise brisant. „Versteckte“ Eignungskriterien an unterschiedlichen Stellen in den Ausschreibungsunterlagen führen zu unvermeidbaren Stolperfallen für Auftraggeber:innen und Bieter:innen. Bieter:innen müssen bereits während des Vergabeverfahrens – also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie noch nicht wissen, ob sie den Auftrag erhalten – über genug Personal für die Leistungserbringung verfügen. Die Abgrenzung zwischen Ausführungsbedingungen für die Leistungserbringung und Eignungskriterien, die bereits im Rahmen der Angebotslegung erfüllt werden, wird immer schwieriger. Das sorgt für erhebliche Rechtsunsicherheit in der Vergabepraxis.
Praxistipp
Für öffentliche Auftraggeber:innen ist es ratsam, die Anforderungen an die zur Erbringung der Leistung erforderliche Personalausstattung zu ermitteln und in den Ausschreibungsunterlagen im Rahmen der Festlegung der Eignungskriterien konkret anzugeben.
Karlheinz Moick / Natasa Stankovic