VwGH zu Wurzelmängeln in Ausschreibungen
Es sind die Nordlichter im Vergaberecht: Mängel in der Ausschreibung, die so gravierend sind, dass sie nicht bestandfest werden, obwohl die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen ist (Wurzelmängel). Im konkreten Fall waren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts die unangefochtenen Zuschlagskriterien dermaßen rechtswidrig, dass eine Bestbieterermittlung nicht möglich war. Der VwGH klärt auf, wann Wurzelmängel vorliegen können.- EuGH
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Rechtlicher Kontext
Nach dem Rechtsschutzsystem des BVergG 2018 (konkret § 343 Abs 3) sind Rechtswidrigkeiten in der Ausschreibung fristgerecht anzufechten, da sie ansonsten bestandfest werden (Präklusion der Geltendmachung von Rechtswidrigkeiten). In der Vergangenheit werteten Verwaltungsgerichte dennoch immer wieder Mängel als so gravierend, dass sie das Präklusionsprinzip durchbrechen und auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist noch aufgegriffen werden können. Als Bezeichnung dafür hat sich der Begriff Wurzelmängel etabliert.
Der VwGH (22.12.2020, Ra 2019/04/0091 mwN; 7.11.2005, 2003/04/0135; 7.9.2009, 2007/04/0090) gibt sich diesbezüglich allerdings sehr restriktiv und erkennt Wurzelmängel nur dann an, wenn die Anwendbarkeit des Bundesvergabegesetzes an sich und die Zuständigkeit der Vergabekontrollbehörden betroffen sind. Tauchen in der Praxis Wurzelmängel auf, ist somit stets mit Spannung abzuwarten, inwieweit der VwGH diese anerkennt.
Ausgangssachverhalt und Entscheidung des Verwaltungsgerichts
Ein Verkehrsverbund führte als Auftraggeber ein zweistufiges Verhandlungsverfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe von Personenbeförderungsdienstleistungen durch. In den Zuschlagskriterien fehlten Festlegungen zur punktemäßigen Bewertung der Subkriterien. Zudem gab der Auftraggeber zu einem Subkriterium den Bewertungskatalog (mit den wesentlichen Aspekten für die Bewertung) nicht den Bieter:innen bekannt, sondern hinterlegte diese Informationen bei einem Notar.
Die Ausschreibungsunterlagen wurden nicht angefochten. Erst nachdem die Auftraggeberin die Zuschlagskriterien im Rahmen eines Short Listings anwendete, bekämpfte eine ausgeschiedene Bieterin diese. Die Auftraggeberin stützte sich auf die Präklusionsfolgen.
Das Verwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, für Bieter:innen sei nicht ersichtlich, wie die Punktevergabe auf Basis der Zuschlagskriterien im Einzelnen erfolgen solle. Es wäre den Bieter:innen daher nicht möglich gewesen, ein Angebot entsprechend den Anforderungen in der Ausschreibung zu gestalten. Diese Rechtswidrigkeiten waren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts so gravierend, dass eine Bestbieterermittlung nicht möglich wäre und deshalb ein Wurzelmangel vorliege.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH blieb seiner bisherigen Linie treu, wonach Wurzelmängel nur in äußerst seltenen Fällen nicht bestandfest werden können (VwGH 14.10.2015, 2013/04/0097, mwN). Er verwies auf seine bisherige Judikatur, derzufolge Ausschreibungsbestimmungen nach dem objektiven Erklärungswert für eine:n durchschnittliche:n fachkundige:n Bieter:in bei Anwendung der üblichen Sorgfalt auszulegen sind und im Zweifel daher gesetzeskonform zu lesen sind. Im konkreten Fall war der VwGH der Ansicht, dass sich die Zuschlags- und Bewertungskriterien nachvollziehbar den Ausschreibungsunterlagen entnehmen ließen. Dem VwGH zufolge führt die notarielle Hinterlegung der wesentlichen Aspekte für die Bewertung – auch wenn diese Aufzählung den Bieter:innen gegenüber nicht vorab offengelegt wurden – zu keiner Intransparenz des Bewertungsschemas bzw der Angebotsbewertung selbst.
Fazit
Der VwGH bekräftigt mit seiner Entscheidung wieder einmal, wie wichtig Rechtssicherheit im Vergabeverfahren ist. Bieter:innen müssen Ausschreibungsunterlagen genau prüfen und innerhalb der dafür vorgesehenen Frist anfechten. Erfolgt dies nicht, werden die Ausschreibungsunterlagen bestandfest und können in weitere Folge nicht mehr angefochten werden.
Karlheinz Moick / Natasa Stankovic