VwGH: Kann das „Recht“ des Auftraggebers, ein Angebot auszuscheiden, präkludieren?
Ein Widerspruch gegen die Ausschreibung wurde von der Auftraggeberin erst im Rahmen der Letztangebotsprüfung aufgegriffen, obwohl er bereits im Erstangebot enthalten war. Der VwGH befasste sich mit der Frage, ob dieser (unbehebbare) Mangel in der Letztangebotsrunde mangels Ausscheiden des Erstangebots noch aufgegriffen werden kann.- EuGH
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Rechtlicher Kontext
Angebote sind gemäß § 141 BVergG 2018 auszuscheiden, wenn sie einen unbehebbaren Mangel aufweisen. Bei der Abgrenzung zwischen einem behebbaren und einem unbehebbaren Mangel ist darauf abzustellen, ob durch die Mängelbehebung die Wettbewerbsstellung des Bieters oder der Bieterin zu Lasten seiner oder ihrer Mitbieter:innen verbessert werden könnte.
Ausgangsfall
Eine Bieterin füllte in einem Vergabeverfahren zur Errichtung eines Bürogebäudes im Preisblatt des Letztangebots die Position „Ausführungszuschläge für nachhaltige Baustoffe“ mit der Ziffer „0“ aus. Sie vermerkte dazu, dass die Verwendung nachhaltiger Baustoffe nach tatsächlichem Bedarf verrechnet werde. Wenig überraschend schied die Auftraggeberin das Letztangebot als der Ausschreibung widersprechendes Angebot aus.
Im gegen diese Ausscheidung gerichteten Nachprüfungsverfahren argumentierte die Bieterin, sie habe den Mangel nachträglich gegenüber der Auftraggeberin aufgeklärt: Nur bei der Wahl eines in den Ausschreibungsunterlagen nicht geforderten Produkts würde sie Mehrkosten verrechnen. Sofern tatsächlich ein unbehebbarer Mangel bestünde, so sei der Auftraggeberin vorzuwerfen, dass sie bereits in der vorhergehenden Angebotsrunde ihren Warn-und Hinweispflichten nicht nachgekommen sei. Das Letztangebot hätte nicht mehr ausgeschieden werden dürfen.
Entscheidung des VwGH
Das Höchstgericht hielt entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass es bei der Abgrenzung von behebbaren bzw unbehebbaren Mängeln darauf ankommt, ob die Wettbewerbsstellung der Bieter:innen verändert wurde. Demnach stellt ein behebbarer Mangel „keine (materielle) nachträgliche Änderung des Angebots dar, vielmehr bleibt dieses materiell (seinem Inhalt nach) unverändert“. Wird ein Angebot erst im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs ausschreibungskonform, verändert dies das Angebot und damit die Wettbewerbsstellung. Das Ergebnis der gebotenen Angebotsauslegung, nämlich nach dem Wortlaut des Vermerks im Angebot, kann durch eine Aufklärung nicht geändert werden.
Der VwGH lässt auch das Argument nicht gelten, wonach ein Angebotsmangel nicht unbehebbar sein könne, sofern der oder die Auftraggeber:in darüber nicht in früheren Angebotsrunden aufgeklärt habe. Er verweist dazu auf sein Erkenntnis vom 30.04.2019, Ra 2018/04/0196, wonach der oder die Auftraggeber:in auch Eignungsmängel noch „in einer späteren Stufe“ des Verfahrens aufzugreifen hat, selbst wenn die Eignung bereits in der ersten Stufe geprüft worden sei.
Fazit
Der VwGH bleibt seiner Abgrenzung von (un-)behebbaren Mängeln treu und lässt materielle Änderungen des Angebots nicht zu. Eine Heilung von ausschreibungswidrigen Angeboten im Rahmen der Aufklärung wäre eine solche Änderung, die sich auf die Wettbewerbsposition auswirken kann.
Auftraggeber:innen können (und müssen!) Widersprüche zur Ausschreibung in der Letztangebotsrunde aufgreifen. Dies gilt unabhängig davon, ob bereits das Erstangebot denselben Mangel aufgewiesen und ob der oder die Auftraggeber:in den oder die Bieter:in darauf hingewiesen hatte. Das Vergaberecht kennt also keine „Bestandfestigkeit der Nichtausscheidung“.
Sebastian Feuchtmüller / Benedikt Flasch