Update Vergabe 16.06.2020

EuGH: Strenge Beurteilung der Voraussetzungen für eine öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit

Der EuGH stuft einen Vertrag zweier Gebietskörperschaften über die Überlassung und gemeinsame Weiterentwicklung einer Software als öffentlichen Auftrag ein. Auch ohne ausdrückliche Entgeltvereinbarung handle es sich um einen synallagmatischen Vertrag, der nicht ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt ist.
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Rechtlicher Hintergrund

Art 12 VergabeRL (umgesetzt in § 10 Abs 3 BVergG) nimmt sogenannte öffentlich-öffentliche Kooperationen vom Vergaberecht aus. Ein Vertrag zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern erfordert demnach keine Ausschreibung, wenn damit

  • eine von den Auftraggebern zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden soll;
  • die Durchführung dieser Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt ist; und
  • die beteiligten öffentlichen Auftraggeber auf dem offenen Markt weniger als 20 % der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen.

Die Erfüllung dieser Voraussetzungen und damit die Abgrenzung zu einem öffentlichen Auftrag ist in der Praxis regelmäßig mit Auslegungsschwierigkeiten und Rechtsunsicherheiten verbunden. Der Rechtsprechung des EuGH, auf dessen Rechtsprechung die Ausnahme überhaupt erst zurück geht, kommt dabei besondere Bedeutung zu.

Sachverhalt und Entscheidung

Die Stadt Köln und das Land Berlin schlossen einen Vertrag über die entgeltfreie und dauerhafte Überlassung einer Software zur Leitung von Feuerwehreinsätzen. Das Land Berlin sollte die Software der Stadt Köln zur Verfügung stellen, beide Kooperationspartner sollten sich aufgrund einer weiteren Kooperationsvereinbarung wechselseitig ergänzende und aufbauende fachliche Funktionalitäten kostenlos anbieten.

Bereits aufgrund dieser Regelungen stufte der EuGH den Vertrag als synallagmatischen, entgeltlichen Vertrag ein, der nicht ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt sein könne. Auch wenn die Überlassung einer Software „entgeltfrei“ erfolge, werde diese bei einem auf Dauer angelegten Vertrag zwangsläufig weiterentwickelt, um den durch neue Regelungen vorgeschriebenen Anpassungen, der organisatorischen Entwicklung des Rettungsdiensts oder auch technologischen Fortschritten Rechnung zu tragen. Die Stadt Köln sei, so die Interpretation des Gerichtshofs, aufgrund der geschlossenen Vereinbarungen rechtsverbindlich verpflichtet worden, die Software (auch zum Nutzen des Landes Berlin) weiterzuentwickeln. Dies begründet bereits das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags und verhindert eine Anwendung der Ausnahmebestimmung.

Was die Art der von einer öffentlich-öffentlichen Kooperation zulässigerweise erfassten Tätigkeiten betrifft, sei die Zusammenarbeit nicht auf öffentliche Dienstleistungen beschränkt. Solange die öffentlichen Auftraggeber gemeinsame Ziele verfolgen, erfasst die Ausnahme jede Tätigkeit, die „zur wirksamen Erfüllung der Aufgabe beiträgt, die Gegenstand der Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Auftraggebern ist“. Für die fragliche Software und deren Weiterentwicklung ist daher danach zu fragen, ob sich deren Zweck „auf den Rang einer rein akzessorischen Tätigkeit reduzieren lässt.“

Fazit

Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine öffentlich-öffentliche Zusammenbarkeit bedarf einer besonders genauen rechtlichen Prüfung unter Berücksichtigung des EuGH-Case-Law im Einzelfall.

Nach der aktuellen EuGH-Entscheidung ist ein Vertrag, der nicht nur auf die Erreichung gemeinsamer Ziele gerichtet ist, sondern im Zusammenhang mit der gemeinsamen Zielerreichung einen entgeltlichen Leistungsaustausch bewirken soll, bereits als öffentlicher Auftrag zu qualifizieren. Eine öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit kann alle Arten von Tätigkeiten erfassen, sofern diese zur wirksamen Erfüllung der öffentlichen Aufgabe beitragen. Ein darüber hinausgehender Zweck der Tätigkeit kann der Anwendung der Ausnahmebestimmung entgegenstehen (Akzessoriätsprüfung).

                                                       Sebastian Feuchtmüller

 

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