EuGH: Mindestanzahl der Bieter:innen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung
In einem offenen Vergabeverfahren langte nur ein (auszuscheidendes) Angebot ein. Die Auftraggeberin widerrief das Verfahren und vergab den Auftrag im Zuge eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung mit nur einem (allerdings anderen) Unternehmer. Hätte sie weitere Unternehmer:innen einladen müssen? Der EuGH kommt zu einem überraschenden Ergebnis.- EuGH
- VwGH
- BVwG / LVwG
- Sonstiges
Rechtlicher Kontext
Gemäß § 36 Abs 1 Z 1 BVergG 2018 kann ein öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabe von Lieferaufträgen auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung zurückgreifen, wenn im Rahmen eines offenen oder nichtoffenen Verfahrens keine oder keine geeigneten Angebote abgegeben worden sind (vgl auch die Parallelbestimmungen in §§ 35, 37 für Dienstleistungs- und Bauaufträge). Er darf in einem solchen Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung die ursprünglichen Auftragsbedingungen nicht grundlegend ändern und hat geeignete Unternehmer zur Angebotsabgabe aufzufordern. Er kann auch andere Unternehmer als jene auffordern, die bereits im Vorverfahren ein (etwa zu teures) Angebot gelegt hatten (vgl aber § 34 Z 5 BVergG 2018). Hierbei darf gemäß den Vorgaben des BVergG 2018 die Anzahl der aufzufordernden Unternehmer nicht unter drei liegen, außer die bezughabende Leistung kann nur von einem bestimmten Unternehmer erbracht werden oder es liegen „äußerst dringliche zwingende Gründe“ vor. Eine solche Mindestanzahl an aufzufordernden Unternehmern samt „Rechtfertigungsgründe“ bei Unterschreitung ist der äquivalenten unionsrechtlichen Bestimmung fremd.
Ausgangssachverhalt
Eine öffentliche Auftraggeberin führte ein Vergabeverfahren für die Beschaffung von „Geräten zur Metallverarbeitung“ durch. Es langte bloß ein einziges Angebot ein, das die Auftraggeberin jedoch aufgrund der Höhe des Angebotspreises (doppelte Höhe des geschätzten Auftragswertes) für nicht den Auftragsbedingungen entsprechend hielt. Die Auftraggeberin widerrief daher das Verfahren und leitete ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung über denselben Auftragsgegenstand ein. Im Rahmen dieses Verfahrens forderte sie nur eine einzige Wirtschaftsteilnehmerin zur Abgabe eines Angebotes auf.
Der EuGH hatte sich in einem Vorabentscheidungsverfahren mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Auftraggeberin mit dieser Beschränkung auf nur eine:n einzige:n Bieter:in gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und des freien Wettbewerbs zu verstieß.
Entscheidung des EuGH
Nach dem EuGH war die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung im Sinne der europäischen Vergaberechtsbestimmungen (Art 32 Abs 2 lit a RL 2014/24) gerechtfertigt, weil (1) das einzig eingelangte Angebot aufgrund des weitaus das Budget überschreitenden Angebotspreises als ungeeignet anzusehen ist, und (2) die Auftragsbedingungen gegenüber des vorangegangenen Verfahren nicht abgeändert wurden.
Dass nur ein Wirtschafteilnehmer zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde, sei mit den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung, Transparenz und Verhältnismäßigkeit eines Vergabeverfahrens vereinbar. Gegenständlich sind nämlich das vorherige offene Verfahren und das anschließende Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung als untrennbares Ganzes anzusehen. Möglicherweise interessierte Wirtschaftsteilnehmer hätten bereits im vorherigen Verfahren die Gelegenheit zur Teilnahme gehabt.
Fazit
Die RL 2014/24/EU gibt nicht explizit vor, wie viele Unternehmer in einem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung einzuladen sind; Auftraggeber haben aber stets die Grundsätze des Vergabeverfahrens zu beachten. Für den Ausgangsfall sah es der Gerichtshof als mit diesen Grundsätzen vereinbar an, dass der Auftraggeber nur einen einzigen Unternehmer einlud.
Österreichische öffentliche Auftraggeber sollten aber weiter vorsichtig sein. Das BVergG 2018 ist in diesem Punkt nach seinem Wortlaut (zulässigerweise) strenger als die Richtlinienvorgabe und gibt eine Mindestanzahl von drei einzuladenden Unternehmern vor. In Fällen wie jenen des Ausgangsverfahrens, wo bereits im vorgelagerten bekannt gemachten Verfahren nur ein Angebot eingelangt war, könnte aber eine teleologische Reduktion dieser nationalen Vorgabe im Einzelfall argumentierbar sein. Die Mindestanzahl von drei einzuladenden Unternehmern könnte nach einer solchen Argumentation unterschritten werden, wenn dies im Einzelfall mit den unionsrechtlichen Grundsätzen vereinbar ist, weil der österreichische Gesetzgeber einen solchen Fall offenbar nicht vor Augen hatte.
Sebastian Feuchtmüller / Laura Reschinger