Update Vergabe 11.12.2024

EuGH: Ist der Zusatz „oder gleichwertig“ auch iZm mit technischen EU-Normen erforderlich?

Eine Auftraggeberin legte technische Spezifikationen für Bauleistungen unter Bezugnahme auf harmonisierte EU-Normen fest – jedoch ohne den gesetzlich vorgeschriebenen Zusatz „oder gleichwertig“. Die Konsequenz: Die für Förderungen zuständige Verwaltungsbehörde sah darin einen Verstoß gegen Vergaberecht und kürzte die Fördermittel für das Projekt. War diese Entscheidung rechtmäßig?
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Rechtlicher Kontext

Durch technische Spezifikationen wird festgelegt, wie ein Produkt beschaffen sein muss, um für die Angebotslegung in einem Vergabeverfahren geeignet zu sein. Die Ausgestaltung technischer Spezifikationen kann wirksam dazu beitragen, das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb zu öffnen. Sie müssen daher so formuliert werden, dass sie allen Wirtschaftsteilnehmer:innen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewähren und den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern (Art 42 Abs 2 RL 2014/24/EU).

Gemäß Art 42 Abs 3 lit b RL 2014/24/EU können technische Spezifikationen unter Bezugnahme auf Normen festgelegt werden, jedoch nur unter der Bedingung, dass sie mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen werden. Dieser Zusatz gewährleistet, dass alternative Lösungen, die die gleichen Anforderungen erfüllen, nicht ausgeschlossen werden können.

Ausgangsfall

Die bulgarische Gemeinde Pleven legte bei der Vergabe eines Bauauftrags technische Spezifikationen unter Bezugnahme auf harmonisierte europäische Normen fest (konkret die Normen BDS 624:87 für Bordsteine aus Beton, BDS EN 1340:2005  für Betonbordsteine für Bodenbelag und EN 60332-1-2 für Prüfungen an Kabeln, isolierten Leitungen und Glasfaserkabeln im Brandfall), ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ aufzunehmen.

Die für Förderungen zuständige Verwaltungsbehörde kürzte daraufhin die Fördermittel des Projekts um 25% des Auftragswerts. Als Begründung führte sie an, dass durch den fehlenden Zusatz „oder gleichwertig“ nicht den Vorgaben des bulgarischen Vergabegesetzes, das die RL 2014/24/EU umsetze, entsprochen worden sei.

Die Gemeinde beantragte beim Verwaltungsgericht Pleven die Aufhebung dieser Entscheidung. Das Verwaltungsgericht stand vor der Frage, ob auch die herangezogenen harmonisierten Normen in den Anwendungsbereich des Art 42 Abs 3 lit b der RL 2014/24/EU fallen und ob folglich öffentliche Auftraggeber in diesem Fall verpflichtet sind, gleichwertige Normen zuzulassen.

Entscheidung des EuGH

Der Europäische Gerichtshof stellt klar: Nach Art 42 Abs 3 lit b der RL 2014/24/EU muss der Zusatz „oder gleichwertig“ immer dann aufgenommen werden, wenn technische Spezifikationen auf Normen Bezug nehmen, die europäische Normen umsetzen. Dies gilt auch für harmonisierte Normen im Sinne der Verordnung (EU) 305/2011.

Art 42 Abs 3 lit b der RL 2014/24/EU steht zudem einer nationalen Regelung nicht entgegen, die öffentliche Auftraggeber dazu verpflichtet, den Zusatz „oder gleichwertig“ zu verwenden, wenn sie technische Spezifikationen unter Bezugnahme auf Normen formulieren.

Fazit

Der Zusatz „oder gleichwertig“ soll den Wettbewerb und die Diversität der technischen Lösungen auf dem Markt fördern. Ziel ist es, den Marktzugang zu erleichtern und sicherzustellen, dass alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer gleichbehandelt werden. Selbst die Verwendung harmonisierter europäischer Normen entbindet öffentliche Auftraggeber nicht von dieser Verpflichtung. Zur transparenten Ausgestaltung der Vergabeverfahren sollten öffentliche Auftraggeber daher sicherstellen, technische Spezifikationen stets mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu formulieren.

Sebastian Feuchtmüller / Marianne Wechdorn

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