Update Vergabe 07.11.2023

VwGH: Widerruf trotz bestandfester Zuschlagsentscheidung

Die Bestbieterin staunte nicht schlecht. Laut der Mitteilung der Zuschlagsentscheidung war sie präsumtive Zuschlagsempfängerin. Nach Ablauf der Stillhaltefrist erteilte die Auftraggeberin allerdings nicht den Zuschlag, sondern erklärte den Widerruf des Vergabeverfahrens. Warum diese Vorgehensweise im konkreten Fall zulässig war.
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Rechtlicher Kontext

Gemäß § 146 Abs 1 BVergG 2018 endet ein Vergabeverfahren mit dem Zustandekommen eines Leistungsvertrages oder mit dem Widerruf des Vergabeverfahrens. Der Widerruf ist nach Ablauf der Angebotsfrist gemäß § 149 Abs 2 BVergG 2018  zulässig, wenn (1) nur ein Angebot eingelangt ist, (2) nach dem Ausscheiden von Angeboten nur ein Angebot verbleibt oder (3) dafür sachliche Gründe bestehen.

Während öffentliche Auftraggeber:innen im Oberschwellenbereich zuerst die Widerrufsentscheidung mitteilen müssen und erst nach Ablauf der Stillhaltefrist den Widerruf erklären können, ist im Unterschwellenbereich gemäß § 150 Abs 7 BVergG 2018 die Widerrufserklärung unmittelbar und ohne Abwarten einer Stillhaltefrist möglich.

Ausgangsfall

Eine öffentliche Auftraggeberin führte ein nicht offenes Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich zur Vergabe von Elektroinstallationsarbeiten durch. Nach Mitteilung der Zuschlagsentscheidung erteilte die Auftraggeberin nicht den Zuschlag an die präsumtive Zuschlagsempfängerin, sondern erklärte gemäß § 150 Abs 7 BVergG 2018 unmittelbar den Widerruf des Vergabeverfahrens. Hintergrund dafür war, dass die Auftraggeberin einen Fehler im Leistungsverzeichnis erkannt hatte. Irrtümlich hatte sie eine Position doppelt ausgeschrieben. Während andere Bieter:innen diese Position doppelt ausgepreist hätten, habe die präsumtive Zuschlagsempfängerin einmal mit einem Positionspreis und einmal mit Null ausgepreist. Daher war für die Auftraggeberin die Vergleichbarkeit der Angebote nicht mehr gegeben.

Daraufhin stellte die präsumtive Zuschlagsempfängerin beim Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs. Das BVwG wies den Antrag mit der Begründung ab, dass die Auftraggeberin ein fehlerhaftes Leistungsverzeichnis mit einer doppelten Leistungsposition verwendet habe und damit zumindest bei einer der beiden Leistungsverzeichnispositionen der tatsächliche Beschaffungswille bereits ursprünglich gefehlt habe. Darin liege ein sachlicher Grund für einen Widerruf gemäß § 149 Abs 2 Z 3 BVergG 2018.

Entscheidung des VwGH

Der VwGH bestätigte das Erkenntnis des BVwG. Zwar berechtigt nicht jeder Fehler in einem Leistungsverzeichnis automatisch zum Widerruf. Im gegenständlichen Fall lag allerdings ein sachlicher Grund für den Widerruf vor, weil Leistungen ausgeschrieben worden waren, die in diesem Umfang nicht benötigt wurde. Die Vorgehensweise der Auftraggeberin war deshalb korrekt und der Widerruf im Unterschwellenbereich zulässig.

Praxistipp

Für öffentliche Auftraggeber:innen ist es ratsam, bei kritischen Bieterfragen zum Leistungsverzeichnis hellhörig zu werden. Allfällige Fehler können vor Ablauf der Angebotsfrist noch rechtzeitig berichtigt und damit die zusätzliche Kosten und Zeitverzögerungen einer Neuausschreibung verhindert werden.

Karlheinz Moick / Natasa Stankovic

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