VwGH: Prüfung der Preisplausibilität anhand von Erfahrungswerten
Das fünfköpfige Bautechnikerteam der Auftraggeberin war sich einig: Mit dem unter der Hälfte des geschätzten Auftragswertes liegenden Angebot kann die Bieterin die begleitende Kontrolle des Bauvorhabens nicht durchführen. Die Bieterin wehrte sich: Die kalkulierten Stunden seien Durchschnittswerte und entsprechen ihrer langjährigen Erfahrung. Der VwGH kommt zu einem klaren Ergebnis.- EuGH
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Rechtlicher Kontext
Die Angemessenheit der Preise ist in Bezug auf die ausgeschriebene Leistung und unter Berücksichtigung aller Umstände, unter denen sie zu erbringen sein wird, zu prüfen (§ 137 Abs 1 BVergG). Dabei ist von vergleichbaren Erfahrungswerten, von sonst vorliegenden Unterlagen und von den jeweils relevanten Marktverhältnissen auszugehen. Weisen Angebote einen im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreis auf, ist die Auftraggeberin verpflichtet, eine vertiefte Angebotsprüfung durchzuführen (§ 137 Abs 2 Z 1 BVergG). In der Praxis spielen Erfahrungswerte bei der Preisangemessenheitsprüfung eine große Rolle. Doch die vergaberechtskonforme Einbringung dieser Erfahrungswerte in die Prüfung bzw Aufklärung ist nicht immer leicht.
Ausgangsfall
Die Auftraggeberin schrieb die Begleitendes Kontrolle eines Bauvorhabens aus. Das Angebot einer Bieterin lag unter der Hälfte des geschätzten Auftragswertes. Im Rahmen der vertieften Angebotsprüfung ermittelte daraufhin ein fünfköpfiges Team aus Bautechnikern der Auftraggeberin auf Basis von Begehungen und unter Einbeziehung von Erfahrungswerten eine Mindeststundenzahl, die für die Auftragsausführung erforderlich ist. Die Bieterin rechtfertigte ihren Preis mit dem Hinweis, es handle sich um keine „lineare Aufwandsposition“. Lediglich am Beginn und am Ende der Ausführungsphase sei ein erhöhter Aufwand gegeben. Die von ihr kalkulierten Werte seien Durchschnittswerte, die aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung der Realität entsprechen würden. Als ihr Angebot daraufhin wegen nicht plausibler Zusammensetzung des Gesamtpreises ausgeschieden wurde, focht die Bieterin diese Entscheidung an.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH bestätigt die Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin. Er würdigte zwar, dass Erfahrungen bei der Preisangemessenheit berücksichtigt werden dürfen. Ein nicht weiter substantiierter Verweis auf Erfahrungswerte ist deshalb aber per se nicht hinreichend, um bestehende Unklarheiten betreffend die Kalkulation einzelner Positionen zu beseitigen (er verweist diesbezüglich auf VwGH 08.09.2021, Ro 2020/04/0007). Wie bereits von der Vorinstanz (Verwaltungsgericht Wien) festgestellt, konnte die Bieterin trotz mehrmaligem Vorhalt nicht plausibel und schlüssig darlegen, wie sie mit dem von ihr angenommenen (unter dem von der Auftraggeberin ermittelten Mindestaufwand liegenden) Zeitaufwand sämtliche Teilleistungen erbringen könnte.
Fazit
Die Auftraggeberin hat im Anlassfall bei der Preisprüfung alles richtig gemacht. Aufgrund der auffällig niedrigen Preise hat sie anhand ihrer Erfahrungswerte und Begehungen eine Mindeststundenzahl ermittelt und dabei auch die Angebotskalkulationen einbezogen. Diese Mindeststundenzahl hat sie ihrer vertieften Angebotsprüfung zugrunde gelegt, was von den Vergabekontrollinstanzen als plausibel beurteilt wurde. Der VwGH spricht aber auch der Bieterin nicht die Expertise per se ab, sondern verweist darauf, dass die Aufklärungen nicht ausreichend substantiiert waren. Um solche Fehler zu verhindern, sollten Bieter:innen bei kritischen vertieften Angebotsprüfungen frühzeitig neben der fachlichen auch rechtliche Expertise beiziehen.
Karlheinz Moick