VwGH: Bestimmtheit von Zuschlagskriterien in der ersten Verfahrensstufe
Der VwGH klärt eine brisante vergaberechtliche Streitfrage: Wie genau müssen im zweistufigen Verhandlungsverfahren die Zuschlagskriterien bereits in der ersten Stufe bekanntgegeben werden? Im Anlassfall wurden diese in der Teilnahmeunterlage zwar grob beschrieben, allerdings fehlten Subgewichtungen und wurden Beschreibungen von Subkriterien nur allgemein und „vorläufig“ vorgenommen. Genügt das?- EuGH
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Rechtlicher Kontext
Gemäß § 89 Abs 1 BVergG „sind die Ausschreibungsunterlagen […] kostenlos, direkt, uneingeschränkt und vollständig zur Verfügung zu stellen, sobald die jeweilige Bekanntmachung erstmalig verfügbar ist“. Seit In-Kraft-Treten dieser Bestimmung gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen dazu, ob im zweistufigen Verfahren bereits in der ersten Stufe die gesamten Ausschreibungsbedingungen veröffentlicht werden müssen. Der VwGH stellte zwar klar, dass „in einem zweistufigen Verhandlungsverfahren die Teilnahmeunterlagen jedenfalls hinreichend konkret sein müssen, um einem interessierten Unternehmer die Beurteilung zu ermöglichen, ob eine Teilnahme an diesem Vergabeverfahren möglich und sinnvoll ist“ (VwGH 10.01.2023, Ra 2020/04/0167). Die Frage, wie detailliert Zuschlagskriterien in der ersten Stufe eines zweistufigen Verhandlungsverfahrens bekannt gegeben werden müssen, blieb bisher aber offen.
Instanz
Das Land Burgenland führte ein zweistufiges Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung zur Beteiligung an einer Gesellschaft zur Auswertung von Covid-19-PCR-Testungen durch. In der Teilnahmephase wurden die Zuschlagskriterien „Preis“ mit 40 % und „Qualität“ mit 60 % festgelegt. Beim Preis sah die Auftraggeberin das Kriterium „Bewertung des einzubringenden Maschinenparks“ lediglich als „voraussichtlich festgelegt“ vor; beim Qualitätskriterium „Betriebskonzept“ wurden die maßgeblichen Inhalte mit „voraussichtlich ua“ angekündigt. Eine interessierte Unternehmerin beantragte die Nichtigerklärung der Ausschreibung mit der Begründung, diese unverbindlichen Formulierungen eröffneten einen Spielraum für willkürliche Bewertungen. Das LVwG Burgenland schloss sich dieser Sichtweise an und erklärte die Ausschreibung für nichtig.
Entscheidungsinhalt
Der VwGH erkannte in den Teilnahmeunterlagen keine Rechtswidrigkeit und hob die Entscheidung des LVwG Burgenland auf. Die unbestimmte Gewichtung und Beschreibung von Subkriterien in der ersten Phase des Verhandlungsverfahrens stellt seiner Ansicht nach keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Transparenz und Bietergleichbehandlung dar, zumal diese in der zweiten Phase noch konkretisiert werden können. Der VwGH verwies außerdem auf § 123 Abs 8 BVergG 2018 iVm Anhang XV Z 1 lit e BVergG 2018, wonach in der Aufforderung zur Angebotsabgabe die Zuschlagskriterien festzulegen sind, falls sie nicht in der Ausschreibung enthalten sind. „Demnach ist es dem Auftraggeber in einem zweistufigen Vergabeverfahren möglich, Zuschlagskriterien erst in die Aufforderung zur Angebotsabgabe aufzunehmen. In einem Größenschluss ist auch die Konkretisierung von Zuschlagskriterien erst in der Aufforderung zur Angebotsabgabe möglich, sofern in der Ausschreibung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung bestimmte Zuschlagskriterien nicht verändert werden und die Konkretisierung keinen Bieter diskriminiert.“
Ergebnis/Fazit
Der VwGH stärkt die Flexibilität öffentlicher Auftraggeber:innen: Zuschlagskriterien können in der ersten Stufe des Verhandlungsverfahrens allgemein beschrieben werden und erst in der zweiten Stufe konkretisiert werden. Wichtig ist dabei aber, dass die Kriterien inhaltlich unverändert bleiben und keine Diskriminierung der Bieter:innen eintritt.
Dem Erkenntnis ist außerdem zu entnehmen, dass Auftraggeber:innen Zuschlagskriterien sogar erst in die Aufforderung zur Angebotsabgabe aufzunehmen können (somit in der ersten Stufe ganz auf die Beschreibung von Zuschlagskriterien verzichten können). Ein gänzlicher Verzicht in der ersten Stufe sollte allerdings im Einzelfall unter der Maßgabe geprüft werden, ob die Teilnahmeunterlagen dann trotzdem hinreichend konkret sind, um Interessent:innen die Beurteilung zu ermöglichen, ob eine Teilnahme an diesem Vergabeverfahren möglich und sinnvoll ist (VwGH 10.01.2023 Ra, 2020/04/0167).
Karlheinz Moick / Gregor Saxinger