Update Vergabe 17.01.2024

EuGH: Wesentliche Vertragsänderung wegen Verzugs der Auftragnehmerin

Der EuGH qualifiziert die einvernehmliche nachträgliche Verlängerung der Leistungsfristen bei einem Bauvorhaben als unzulässige wesentliche Vertragsänderung. Er gibt aber auch Hinweise, wie für derartige Konstellationen vorgesorgt werden kann.
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Rechtlicher Kontext

Vertragsänderungen sind nach Abschluss des Vergabeverfahrens nur unter bestimmten Umständen zulässig (§ 365 BVergG 2018). Der „Klassiker“ ist die „safe haven“-Klausel, wonach Änderungen geringen Umfangs (im Ausmaß von bis zu 10 % bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen bzw 15 % bei Bauaufträgen) unter bestimmten Umständen unwesentlich und somit zulässig sind. Im gegenständlichen Fall ging es um einen anderen Ausnahmetatbestand: Änderungen sind unwesentlich, wenn sie auf nicht vorhersehbaren Umständen beruhen, sich der Gesamtcharakter des Vertrages nicht ändert und etwaige Mehrkosten maximal 50% des ursprünglichen Auftrages betragen.

Sachverhalt

Zwei bulgarische Gemeinden vergaben Bauleistungen zur Errichtung einer Sporthalle und zur Gestaltung einer Küstenpromenade. In beiden Fällen sahen die Ausschreibungsunterlagen maximale Ausführungsfristen vor, die die beauftragten Unternehmer letztlich nicht einhielten. Die Gemeinden gewährten ihren Auftragnehmern deutlich längere Ausführungsfristen und sahen von der Geltendmachung von Schadenersatz und Vertragsstrafen ab.

Ein bulgarisches Verwaltungsgericht hatte die Sachverhalte zu prüfen und legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Zunächst wollte es wissen, ob die Nichteinhaltung der Ausführungsfristen eine wesentliche Vertragsänderung bedeuten könne. Bejahendenfalls sollte der EuGH beantworten, ob schlechtes Wetter und gesetzliche Bauverbote ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne der RL darstellen können, das eine solche wesentliche Vertragsänderung rechtfertigt.

Entscheidungsinhalt

Der Gerichtshof verweist zunächst auf seine bisherige Rechtsprechung wonach Vertragsänderungen eine Absicht beider Vertragsparteien innewohnt. Diese Absicht kann „[…] aber in anderer Form als durch eine schriftliche Vereinbarung über die betreffende Änderung zum Ausdruck gelangen“. Die Wesentlichkeit einer Vertragsänderung hängt also nicht davon ab, ob eine schriftliche Nachtragsvereinbarung abgeschlossen wurde. Die gegenteilige Sichtweise würde eine Umgehung der Vorschriften zu nachträglichen Vertragsänderungen erleichtern.

Hinsichtlich der zweiten Frage (welche Umstände unvorhersehbar sind) verweist der EuGH auf den 109. Erwägungsgrund der RL 2014/24. Nach diesem sind unvorhersehbare Umstände „externe Umstände, die auch bei einer nach vernünftigem Ermessen sorgfältigen Vorbereitung […] nicht hätten vorausgesagt werden können.“ Dabei sind vom Auftraggeber zur Verfügung stehende Mittel, die Art und Merkmale des Projekts und ein angemessener Ressourceneinsatz in der Vorbereitung einzubeziehen. Gewöhnliche Wetterbedingungen und gesetzliche Verbote der Durchführung von Bauarbeiten (während der Tourismusmonate) können laut dem EuGH nicht als Umstände angesehen werden, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender öffentlicher Auftraggeber nicht vorhersehen konnte. Dies vor allem auch deshalb, weil die Möglichkeit beständen hätte, im Rahmen des ursprünglichen Vertrages Klauseln aufzunehmen, mit welchen sich der Auftraggeber Änderungen vorbehält.

Das nachträgliche Einvernehmen der Auftraggeber mit ihren Auftragnehmern über die Zulassung deutlich längerer Ausführungsfristen unter Verzicht auf Vertragsstrafen- und Schadenersatzansprüche war daher als wesentliche (unzulässige) Vertragsänderung zu qualifizieren.

Ergebnis/Fazit

Der EuGH bleibt seiner strengen Linie in der Beurteilung von Umständen, die eine nachträgliche Vertragsänderung rechtfertigen, treu. Äußeren Umständen, mit denen ein seiner Sorgfalt nachkommender Auftraggeber rechnen muss, ist bereits im Zuge des Vergabeverfahrens durch Änderungsklauseln vorzukehren. Mit solchen Änderungsklauseln gewährleistet der öffentliche Auftraggeber nämlich Transparenz und Gleichbehandlung gegenüber sämtlichen am Auftrag interessierten Wirtschaftsteilnehmern.

Bei der Vertragsgestaltung sollten daher möglichst alle erwartbaren Einflüsse auf die Leistungserbringung (wie gewöhnliche Wetterbedingungen) antizipiert und deren Rechtsfolgen in Vertragsänderungsklauseln festgelegt werden. Dies sichert vergaberechtlichen Spielraum für den Fall, dass der Auftrag nicht ganz reibungslos abgewickelt werden kann.

Sebastian Feuchtmüller / Benedikt Flasch

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