Update Vergabe 18.07.2023

EuGH: Nachträgliche Rückzahlung von EU-Fördermitteln für ein Vergabeprojekt

Der Albtraum jedes:r Auftraggebers:in: Jahre nach einem Vergabeverfahren kommen Bestechungsvorwürfe auf. Ein Mitarbeiter der Auftraggeberin soll von einem Bieter Geldbeträge als Gegenleistung für Begünstigungen angenommen haben. Da das Projekt von der EU finanziert ist, droht auch eine Rückzahlung der Fördergelder. Im Anlassfall wehrte sich die Auftraggeberin und befasste den EuGH.
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Rechtlicher Kontext

Im Rahmen eines von der EU finanzierten Projekts vergab eine öffentliche Auftraggeberin einen Auftrag über die Durchführung von Straßenarbeiten an eine Bietergemeinschaft (BIEGE). Jahre nach der Auftragsvergabe erlangte die zuständige öffentliche Behörde Kenntnis von einer strafrechtlichen Untersuchung in Zusammenhang mit Bestechung gegen eines der Mitglieder der BIEGE. Der Vorwurf lautete, dass Mitglieder des Vergabeausschusses der Auftraggeberin von einem BIEGE-Mitglied Geldbeträge als Gegenleistung für Begünstigungshandlungen während des Vergabeverfahrens angenommen hätten.

Die zuständige öffentliche Behörde forderte daraufhin die Auftraggeberin zur Rückzahlung der erhaltenen Beträge aus dem Förderprogramm auf. Gegen diese Entscheidung erhob die Auftraggeberin Klage beim zuständigen Gericht.

Instanz

Nach den Grundsätzen der Bieter:innengleichbehandlung und Transparenz müssen im Vergabeverfahren alle Bieter:innen die gleichen Chancen haben und gleich behandelt werden. Außerdem darf keine Gefahr von Begünstigung oder Willkür seitens der Auftraggeber:innen bestehen (Art 2 der Richtlinie 2004/18, umgesetzt in § 20 BVergG 2018). Nach Ansicht des EuGH zielten die gegenständlich vorgeworfenen Bestechungshandlungen darauf ab, den Entscheidungsprozess zur Vergabe des öffentlichen Auftrags zu beeinflussen. Es könne somit nicht ausgeschlossen werden, dass die Auftraggeberin einen der Bieter begünstigt habe. Bereits dies widerspreche den Grundsätzen der Bieter:innengleichbehandlung und Transparenz.

Nach Art 45 Abs 2 Unterabs 1 Buchst d der RL 2004/18 (umgesetzt in § 78 BVergG 2018) kann jede:r Wirtschaftsteilnehmer:in, der:die im Rahmen seiner:ihrer beruflichen Tätigkeit eine nachweislich schwere Verfehlung begangen hat, von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Laut EuGH bezieht sich eine „schwere Verfehlung“ eines:einer Wirtschaftsteilnehmers:in üblicherweise auf jedes vorsätzliche oder fahrlässige Verhalten von gewisser Schwere, das vor dem Abschluss des Vergabeverfahrens festgestellt werden muss. Im konkreten Fall habe die Auftraggeberin erst Jahre nach Abschluss des Vergabeverfahrens von möglichen Bestechungshandlungen im Zuge der Ausschreibung erfahren. Es sei ihr daher nicht möglich gewesen, die spätere Zuschlagsempfängerin vom Vergabeverfahren auszuschließen.

Zur Zulässigkeit der Aufforderung zur Rückzahlung der Fördermittel sprach der EuGH aus, dass die vorgeworfenen Bestechungshandlungen einen Betrugsverdacht und damit eine schwerwiegende Unregelmäßigkeit im Sinne der anwendbaren Förderbestimmungen darstellen würden. Derartige Unregelmäßigkeiten würden aber nicht automatisch bedeuten, dass die genehmigte Finanzierung zur Gänze einbehalten und bereits gezahlte Beträge eingezogen werden dürfen. Vielmehr sei eine Einzelfallprüfung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen, wobei unter anderem die Art und der Schweregrad der festgestellten Unregelmäßigkeiten sowie ihre finanziellen Auswirkungen für den betreffenden Fonds zu berücksichtigen seien.

Ergebnis/Fazit

Im Ergebnis begründen Bestechungshandlungen im Rahmen eines Vergabeverfahrens einen Verstoß gegen die Grundsätze der Bieter:innengleichbehandlung und Transparenz, ohne dass diese Handlungen die Wahl des:der Bieters:in tatsächlich beeinflusst haben müssen. Bieter:innen, die solche Verhaltensweisen setzen, können vom Verfahren ausgeschlossen werden, wenn die Verfehlung vor Abschluss des Verfahrens festgestellt wird.

Nach Abschluss eines Vergabeverfahrens haben in so einem Fall auch Auftraggeber:innen selbst Konsequenzen zu befürchten: Bei Finanzierung eines Projektes durch EU-Fördermittel können derartige (strafrechtlich bedeutsame) Handlungen je nach Art und Schweregrad zu einer gänzlichen Rückzahlungsverpflichtung von bereits erhaltenen Zuschüssen führen. Löst der:die Auftraggeber:in in so einem Fall den Vertrag mit dem:der Auftragnehmer:in vorzeitig (aus wichtigem Grund) auf, können zivilrechtliche Bereicherungs- und/oder Schadenersatzansprüche gegenüber dem:der Auftragnehmer:in bestehen.

Sebastian Feuchtmüller / Naomi Grill

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