Update Vergabe 11.07.2019

EuGH: Ausschluss wegen erheblicher Mängel in einem früheren Auftrag

Das BVergG 2018 enthält einen Ausschlussgrund für Unternehmer, deren Leistungserfüllung bei früheren Aufträgen erhebliche Mängel aufwies. Wie ist damit umzugehen, wenn der Unternehmer den angeblichen Mangel bestreitet bzw die Vertragskündigung nicht akzeptiert? Der EuGH stärkt die Position der Auftraggeber und zeigt einen Fehler in den Gesetzeserläuterungen zum BVergG 2018 auf.
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Rechtlicher Kontext

Der öffentliche Auftraggeber hat im Rahmen der Eignungsprüfung einen Unternehmer jederzeit von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen, wenn bei der Erfüllung einer wesentlichen Anforderung im Rahmen eines früheren Auftrags erhebliche oder dauerhafte Mängel vorliegen, die die vorzeitige Beendigung dieses früheren Auftrags oder Schadenersatz oder andere Sanktionen nach sich gezogen haben (§ 78 Abs 1 Z 9 BvergG 2018 – im Sektorenbereich handelt es sich um eine Kann-Bestimmung: § 249 Abs 1Z 8 BvergG 2018). Dadurch soll ein öffentlicher Auftraggeber nicht gezwungen sein, einen Unternehmer im Vergabeverfahren zu akzeptieren, der bei früheren öffentlichen Aufträgen (auch bei anderen öffentlichen Auftraggebern) seine Verpflichtungen im Rahmen der Leistungserfüllung schuldhaft verletzt hat.

Sachverhalt

Der neuesten EuGH-Entscheidung lag ein italienischer Ausgangssachverhalt zugrunde. Gegenstand war eine Ausschreibung zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrags für die Schulspeisung in der Gemeinde Neapel für das Schuljahr 2017/2018.

Am Vergabeverfahren nahm das Unternehmen Sirio teil, dass bereits den Dienstleistungsauftrag für das vorherige Schuljahr erhalten hatte. Der frühere Auftrag wurde jedoch wegen Fällen von Lebensmittelvergiftung aufgrund von Kolibakterien im Schulkantinenessen vorzeitig aufgelöst. Sirio hatte diese Vertragskündigung beim Zivilgericht angefochten; ein Gerichtsurteil lag noch nicht vor. Das führte nach einer Bestimmung des italienischen Vergabegesetzes dazu, dass der Ausschluss wegen Vorliegen erheblicher Mängel bei der Erfüllung früherer Aufträge (noch) nicht zulässig war. Das italienische Höchstgericht wollte vom EuGH wissen, ob diese Bestimmung den Vergaberichtlinien widerspricht.

Entscheidungsinhalt

Laut EuGH widersprechen gesetzliche Bestimmungen, die die Beurteilung der Zuverlässigkeit von einer Entscheidung eines Gerichts abhängig machen, den Vergaberichtlinien. Art 57 RL 2014/24/EU übertrage nämlich nur dem öffentlichen Auftraggeber und nicht einem nationalen Gericht die Aufgabe, die Zuverlässigkeit der Unternehmer zu beurteilen und über einen Ausschluss vom Vergabeverfahren zu entscheiden. Diese Beurteilungsbefugnis darf nicht von Entscheidungen Dritter abhängig sein.

Der EuGH begründet dies damit, dass der öffentliche Auftraggeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht Rechnung tragen könne, wenn er an eine von einem Gericht vorgenommene Beurteilung automatisch gebunden wäre. Der öffentliche Auftraggeber könne dann nicht berücksichtigen, dass zB die begangenen Unregelmäßigkeiten kleiner sind und nur in Ausnahmefällen zu einem Ausschluss führen oder sich kleinere Unregelmäßigkeiten wiederholt haben, die Zweifel an der Zuverlässigkeit begründen könnten.

Auswirkung auf das österreichische Vergaberecht

Die §§ 78 Abs 1 Z 9 und 249 Abs 1Z 8 BvergG 2018 enthalten zwar keine dem italienischen Ausgangsfall zugrundliegende vergleichbare Einschränkung, die besagt, dass Unternehmer infolge mangelhafter Abwicklung früherer Verträge nur nach einer Gerichtsentscheidung oder wenn die Vertragskündigung nicht angefochten wird, ausgeschlossen werden darf. Die Umsetzung der Vergaberichtlinie erfolgte somit unionsrechtskonform.

Die Gesetzesmaterialien führen in diesem Zusammenhang aber aus, dass frühere Auftragsverhältnisse, bei denen Gerichtsverfahren etwa in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Beendigung des Vertragsverhältnisses oder Schadenersatzprozesse anhängig sind, bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit nicht zu berücksichtigen sind (Erläuterungen zu § 78 Abs 1 Z 9 BVergG 2018 Seite 99). Diese Ausführungen stehen im Widerspruch zur Entscheidung des EuGH und sind somit nicht zu beachten.

Fazit

Der öffentliche Auftraggeber hat bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit auch Mängel bei der Erfüllung früherer Auftragsverhältnisse zu berücksichtigen (im Sektorenbereich kann er diese berücksichtigen), selbst wenn in Zusammenhang mit diesen früheren Aufträgen Gerichtsverfahren, etwa hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Beendigung oder Schadenersatzprozesse, anhängig sind.

Sebastian Feuchtmüller / Sophie-Anna Werzin

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