Update Vergabe 24.03.2020

Zweites Covid-19-Gesetz: Massive Auswirkungen auf Rechtsschutz und Vergabeverfahren

Mit dem gestern in Kraft getretenen COVID-19-Gesetzespaket werden auch Fristen in vergaberechtlichen Rechtsschutzverfahren gehemmt oder unterbrochen. Vergabeverfahren laufen zwar weiter, Ausschreibungen und einige andere Auftraggeberentscheidungen werden aber vorerst nicht mehr bestandfest. Wir haben die Rechtsfolgen analysiert und geben wichtige Tipps für die Praxis.
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UPDATE 03.04.2020: Zwischenzeitig wurden die gesetzlichen Bestimmungen für das Vergabewesen abgeändert (siehe dazu unseren Beitrag)  

Rechtlicher Kontext

Das zweite COVID-19-Gesetz hemmt die Frist für die Einbringung von Nachprüfungs-, Provisorial- und Feststellungsverfahren vor den Verwaltungsgerichten: Der Zeitraum vom 23.03.2020 bis inklusive 30.04.2020 wird nicht in die Frist eingerechnet. Dasselbe gilt für Revisions- bzw Beschwerdefristen an VwGH und VfGH. Das bedeutet:

  • Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung: Erlässt der Auftraggeber nach dem 23.03.2020 eine Zuschlagsentscheidung, läuft die Frist zur Einbringung eines Nachprüfungsantrags bis 11.05.2020 (der 10.05.2020 fällt auf einen Sonntag). Hat der Lauf der Anfechtungsfrist hingegen schon vor dem 23.03.2020 begonnen, so läuft ab dem 01.05.2020 der noch offene Rest der Anfechtungsfrist weiter.Bleibt Bewerbern und Bietern damit tatsächlich mehr Zeit, einen Nachprüfungs- oder Feststellungsantrag zu stellen? Grds ja, der Zuschlag kann aber dennoch bereits erteilt worden sein: Die von der Anfechtungsfrist zu unterscheidende Stillhaltefrist läuft nämlich ungehemmt nach idR zehn Tagen ab und der Auftraggeber kann den Zuschlag wirksam erteilen. Das gewohnte Zusammenfallen von Anfechtungs- und Stillhaltefrist gilt aktuell nicht. Die Rechtsfolgen dürften vom Gesetzgeber nicht bedacht worden sein; ggf könnte aufgrund der sehr speziellen rechtlichen Situation im Einzelfall nach Ablauf der Stillhaltefrist und erfolgtem Zuschlag ein Feststellungsantrag zulässig sein (obwohl grundsätzlich ein Nachprüfungsantrag eingebracht werden konnte).Unser Tipp für Bieter: Fechten Sie eine rechtswidrige Zuschlagsentscheidung weiterhin innerhalb der Stillhaltefrist an!
  • Bekämpfung der Bekanntmachung, der Teilnahme- und Ausschreibungsunterlagen, von Berichtigungen und sonstigen Festlegungen im Verfahren:Bei Teilnahme- und Ausschreibungsunterlagen gilt grundsätzlich eine Anfechtungsfrist bis sieben Tage vor Ablauf der Abgabefrist. Fällt das Ende der Angebots- oder Teilnahmeantragsfrist in den Zeitraum vom 23.03.2020 bis zum 30.04.2020 und nimmt man eine Hemmung der Anfechtungsfrist an, lässt sich die Vorgabe „binnen 7 Tagen vor Ablauf“ nicht mehr einhalten, was zumindest einen semantischen Widerspruch bedeutet. Wir gehen dennoch davon aus, dass der Gesetzgeber den Rechtsschutz erweitern wollte und die Fristerstreckung tatsächlich eintritt. Aktuell versendete Ausschreibungsunterlagen und diverse sonstige Festlegungen (die vor der Fristenhemmung idR binnen zehn Tagen anfechtbar waren) werden damit erst ab Mai bestandfest. Davor könnte ein übergangener Bieter sogar noch gemeinsam mit der Zuschlagsentscheidung einzelne Ausschreibungsfestlegungen bekämpfen.Unser Tipp für Auftraggeber: Wollen Sie in einem laufenden Verfahren die Anfechtbarkeit der Ausschreibung ausschließen, verlängern Sie die Angebotsfrist bis Anfang Mai.

Unterbrechung von Fristen in anhängigen Gerichtsverfahren

Grundsätzlich sind sämtliche Fristen in anhängigen Verfahren vor Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten bis zum Ablauf des 30.04.2020 unterbrochen. Im Detail:

  • Die Unterbrechung betrifft sowohl Fristen, die nach dem 23.03.2020 zu laufen beginnen als auch Fristen, die am 23.03.2020 noch nicht abgelaufen sind.
  • Die Unterbrechung bewirkt einen neuerlichen Beginn des Fristenlaufs. Die unterbrochene Frist beginnt damit am 01.05.2020 erneut zu laufen.
  • Es sind sämtliche vergaberechtlichen Fristen vor allen Verwaltungsgerichten, dem VwGH und dem VfGH erfasst. Das Gesetz sieht zwar eine Einschränkung auf Verfahren unter Anwendung des AVG vor; die subsidiäre Anwendung des AVG ist aber sowohl im BVergG 2018 als auch in sämtlichen Vergaberechtsschutzgesetzen der Länder normiert. Die Unterbrechung gilt nicht für die vom Auftraggeber im Vergabeverfahren festgelegten Fristen.
  • Achtung: Im Einzelfall kann das Gericht mit Beschluss aussprechen, dass eine Frist nicht unterbrochen wird. Der Beschluss setzt voraus, dass dies zur Abwendung von Gefahr für Leib und Leben, die Sicherheit oder zur Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens einer Partei dringend geboten erscheint und nicht das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 überwiegt. Im Beschluss hat das Gericht eine angemessene Frist zu setzen.

Unser Tipp: Nehmen Sie Kontakt mit dem zuständigen Richter oder der zuständigen Richterin auf und fragen Sie nach, ob eine laufende Frist unterbrochen wird. Ergeht kein anderslautender Beschluss, ist die Frist unterbrochen.

Mündliche Verhandlungen und Vernehmungen

Mündliche Verhandlungen und Vernehmungen sind nur dann durchzuführen, soweit dies zur Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltungsrechtspflege unbedingt erforderlich ist. Vernehmungen können in audiovisueller Form vorgenommen werden.

Die meisten Verhandlungen wurden bereits letzte Woche bis auf weiteres abberaumt. Ob auch Ihre Verhandlung betroffen ist, sehen Sie auf der Amtstafel des jeweiligen Verwaltungsgerichts. Im Zweifel nehmen Sie Kontakt mit dem zuständigen Richter/der zuständigen Richterin auf.

Sollten Sie Fragen iZm mit laufenden oder neu einzuleitenden Gerichtsverfahren haben, kontaktieren Sie uns gerne unter 01 890 60 36 oder per E-Mail unter office@fsm.law.

Sebastian Feuchtmüller / Sophie-Anna Werzin

 

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