Update Vergabe 10.03.2021

VwGH: Grundsatzentscheidung zu Fragebeantwortungen programmiert Rechtsunsicherheiten!

Regelmäßig treffen Auftraggeber in Fragenbeantwortungen Klarstellungen oder Berichtigungen zur Ausschreibung. In einer brisanten Entscheidung hebelt der VwGH den Inhalt einer Fragenbeantwortung aus. Im Anlassfall war eine Klarstellung trotz ausdrücklicher Formulierung entgegen ihrem Wortlaut auszulegen.
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Rechtlicher Kontext

Änderungen der Ausschreibungsunterlagen während der Angebotsfrist sind nicht unüblich. Oft veranlassen Anregungen oder Fragen interessierter Unternehmer den Auftraggeber, Ausschreibungsdetails zu konkretisieren, Vertragsklauseln anzupassen oder Verfahrensbestimmungen zu streichen. Weicht der Auftraggeber von seinen ursprünglichen Angaben ab, spricht man von einer Ausschreibungsberichtigung, die als gesondert anfechtbare Entscheidung iSd § 2 Z 15 BVergG bekämpft werden kann. Soweit die herrschende Ansicht bis zur vorliegenden VwGH-Entscheidung.

Instanz

Der Ausgangssachverhalt betraf ein Verfahren zur Beschaffung von Papierhandtuchrollen. Im Rahmen einer Fragebeantwortung betreffend die Gleichwertigkeit eines Produkts zum Leitprodukt verkündete die Auftraggeberin: „Ja, dies ist gleichwertig. Die Handtuchrollen müssen aber mit dem Tork-Rollenhandtuchspender gemäß LV kompatibel sein (daher muss der Hersteller der Tücher ident mit dem Spender sein)“. Hatte die Auftraggeberin in der Ausschreibung selbst lediglich die „Gleichwertigkeit“ der Handtücher gefordert, verwies sie also nachträglich auf die notwendige Identität von Hersteller der Tücher und Spender.

Eine solche Festlegung widerspricht zwar dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz, kann aber trotz Rechtswidrigkeit bei nicht fristgerechter Bekämpfung bestandfest werden.

Der VwGH sah in der Formulierung überraschenderweise gar keine Abweichung zur Ausschreibung. Eine gesetzeskonforme Auslegung der Angabe ergebe, dass es sich um eine reine Wissenserklärung bzw Schlussfolgerung der Auftraggeberin handle. „Der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu finden, dass damit – nach dem objektiven Erklärungswert dieser Fragebeantwortung – in eindeutiger, keinen Raum für Zweifel offen lassenden Weise festgelegt worden sei, dass abweichend von der ursprünglichen Ausschreibung der Hersteller der Handtuchrollen mit dem Hersteller der Spender ident sein müsse, zumal der erste Satz der Fragebeantwortung (der für eine Gleichwertigkeit lediglich die gleiche Breite und Länge verlangt) gegen diese Sichtweise spricht […]. Der Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung spricht somit dafür, dass die Auftraggeberin mit dem besagten Klammerausdruck bloß ihre Auffassung zur Kompatibilität zum Ausdruck gebracht, nicht aber die Ausschreibung abgeändert hat.“ Entgegen dem Wortlaut der Fragebeantwortung lag laut VwGH also keine Berichtigung vor und mussten Spender- und Tücherhersteller nicht ident sein.

Sachverhalt

Der VwGH durchbricht mit dem Erkenntnis zwar nicht den Grundsatz, wonach rechtswidrige, unbekämpfte Festlegungen bestandfest werden. Er misst dem Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung aber derart viel Gewicht bei, dass die im Zivilrecht geltenden Maßstäbe einer Auslegung nach dem objektiven Erklärungswert weitgehend in Frage gestellt sind. Die Auslegung von Festlegungen des Auftraggebers wird dadurch erheblich erschwert und Rechtsunsicherheiten unterworfen.

Nicht nur in Fragebeantwortungen, sondern auch in Ausschreibungsunterlagen und sonstigen Verfahrensfestlegungen wird bei vergaberechtswidrigen Angaben nun stets zu fragen sein: Ist der Auftraggeber „in eindeutiger, keinen Raum für Zweifel offen lassenden Weise“ vom BVergG abgewichen – oder muss die Festlegung vielmehr BVergG-konform und ggf sogar entgegen ihrem ausdrücklichen Wortlaut ausgelegt werden?

Auch der Verweis auf die zivilrechtliche Abgrenzung zwischen Willens- und Wissenserklärung wirft mehr Fragen auf, als er zu einer Nachvollziehbarkeit des Judikats beiträgt. Eine Willenserklärung ist auf die Herbeiführung von Rechtfolgen gerichtet. Bei einer Wissenserklärung geht es darum, dass der Erklärende bloß seine Vorstellungen über bestimmte Tatsachen mitteilt, jedoch keinen Willen dahin äußert, mit der Erklärung bestimmte Rechtsfolgen bewirken zu wollen (RIS Justiz RS0120267). Dass Auftraggeber in Fragebeantwortungen rechtlich nicht verbindliche Annahmen kundtun, die als Wissenserklärungen auch nicht weiter relevant sein sollen, stellt nicht nur den Zweck einer Fragebeantwortung in Frage, es widerspricht auch der Vergabeverfahrenspraxis.

Praxistipp

Möchte ein Auftraggeber vermeiden, dass eine seiner Festlegungen „gesetzeskonform ausgelegt“ wird, sollte er – etwa am Beginn einer Fragebeantwortung – die Qualifikation der nachfolgenden Angaben als verbindliche und der Ausschreibung vorgehende Festlegungen klarstellen. Maßgebliche Informationen sollten nicht in Klammerausdrücken formuliert werden.

Sebastian Feuchtmüller

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