Update Vergabe 12.05.2022

VfGH zum Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ im Nachprüfungsverfahren

Ein Vergabeverfahren zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung endet nicht mit einem „Zuschlag“, sondern mit dem „Abschluss der Rahmenvereinbarung“. Ein Bieter übersah dies in seinem Nachprüfungsantrag und focht die „Zuschlagsentscheidung“ an. Zurückweisung oder lediglich unschädliche Fehlbezeichnung?
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Rechtlicher Kontext

§ 344 Abs 1 BVergG normiert die inhaltlichen Anforderungen eines Nachprüfungsantrages. Gemäß Z 1 leg cit sind im Nachprüfungsantrag jedenfalls das betreffende Vergabeverfahren sowie die angefochtene gesondert anfechtbare Entscheidung zu bezeichnen. Nach den erläuternden Bestimmungen soll bei der Bezeichnung der gesondert anfechtbaren Entscheidung, „kein übertrieben strenger Maßstab angelegt werden“.

Instanz

Das Bundesministerium für Inneres führte ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Videonachfahreinrichtungen für die Bundespolizei durch. Nach Bewertung der eingelangten Angebote informierte die Auftraggeberin die Bieter, mit welchem Unternehmer sie den Abschluss der Rahmenvereinbarung beabsichtige. Ein nicht zum Zug gekommener Bieter brachte beim Bundesverwaltungsgericht einen Nachprüfungsantrag ein und begehrte die „Nichterklärung der Zuschlagsentscheidung“.

Das Bundesverwaltungsgericht wies das Begehren zurück. Bei der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, eine Rahmenvereinbarung mit einem bestimmten Unternehmer abzuschließen, handelt es sich um keine Zuschlagsentscheidung. Die gesondert anfechtbare Entscheidung war also nicht korrekt bezeichnet worden.

In weiterer Folge wandte sich die Antragstellerin an den Verfassungsgerichtshof. Dieser hob den angefochtenen Beschluss des BVwG zur Gänze auf. Die im Antrag verwendete Formulierung sei vor dem Hintergrund des konkreten Stadiums des gegenständlichen Vergabeverfahrens zu sehen. In einem Verfahren zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung ist davon auszugehen, dass für alle Parteien klar ist, dass durch die Entscheidung des Auftraggebers keine Zuschlagsentscheidung erfolgt ist. Das BVwG hat laut VfGH den Inhalt des § 344 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1 BVergG 2018 grob verkannt. Bei der Auslegung, ob eine gesondert anfechtbare Entscheidung vorliegt, darf der Maßstab an die im Antrag gewählte Formulierung daher nicht zu eng gezogen werden.

Ergebnis/Fazit

Der VfGH orientiert sich überzeugenderweise am Grundsatz falsa demonstratio non nocet. Wenn allen Parteien und auch dem Gericht klar sein muss, welche Entscheidung bekämpft wird, bleibt der Nachprüfungsantrag auch dann zulässig, wenn die gesondert anfechtbare Entscheidung vom Nachprüfungswerber falsch bezeichnet wurde.

 

Sebastian Feuchtmüller / Helene Kaiblinger

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