Update Vergabe 12.06.2019

Änderungen im BVergG 2018, die Sie vielleicht noch nicht kennen (Teil 4 – Sektorenspecial)

Kleine Änderungen im BVergG 2018 können auf die Vergabepraxis große Auswirkungen haben, bleiben aber oft unter dem Radar. Aus diesem Grund widmen wir ihnen eine Beitragsreihe. Diesmal mit Fokus auf den Sektorenbereich.
  • EuGH
  • VwGH
  • BVwG / LVwG
  • Sonstiges
Novelty
5 out of 5

Rechtlicher Kontext

  • Die neue Rahmenvereinbarung im Sektorenbereich
  • Neu im Sektor: Der wettbewerbliche Dialog
  • Das Ende der vertieften Angebotsprüfung im Sektorenbereich?
  • Seminar Sektorenvergaberecht NEU

Instanz

Die Auftragsvergabe aufgrund von Rahmenvereinbarungen („RV“) war im klassischen Vergabebereich seit jeher detailliert geregelt, während die Bestimmungen des Sektorenbereichs äußerst mager ausfielen. Mit dem BVergG 2018 erfuhr die RV des Sektorenbereichs allerdings eine Aufwertung und wurde – mit einigen wesentlichen Erleichterungen – an den klassischen Bereich angepasst.

Was ändert sich mit dem Inkrafttreten des BVergG 2018 konkret? Nachfolgend ein Überblick über die wesentlichsten Neuerungen:

  • Systematische Anpassung an den klassischen Bereich: Während im BVergG 2006 sämtliche Regelungen der Sektoren-RV in einer Bestimmung geregelt waren, splittete der Gesetzgeber diese im BVergG 2018 (analog zum klassischen Bereich) auf. Die Zulässigkeit der Wahl der RV ist nun systematisch getrennt von den „inhaltlichen“ Bestimmungen über den Abschluss einer RV und die Vergabe eines Auftrags aufgrund einer abgeschlossenen RV geregelt. Interessantes Detail am Rande: In den Erläuterungen findet sich scheinbar ein Redaktionsversehen. Im Unterschwellenbereich soll der AG die zusätzliche Möglichkeit haben, eine Rahmenvereinbarung im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung abzuschließen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist dies aber auch im Oberschwellenbereich möglich (siehe § 208 BVergG 2018, der nicht zwischen Verhandlungsverfahren mit und ohne vorherige Bekanntmachung differenziert).
  • Dauer der Rahmenvereinbarung: Das BVergG 2006 sah im Sektorenbereich keine Laufzeitbeschränkung von Rahmenvereinbarungen vor. In der Praxis wurde vorsichtshalber aber regelmäßig eine Befristung festgesetzt (oft zwischen 5 und 10 Jahren). Das BVergG 2018 normiert nun in § 315 Abs 3 BVergG 2018 eine Maximaldauer von grundsätzlich acht Jahren. Aus sachlichen Gründen darf aber auch eine längere Laufzeit vorgesehen werden.
  • Abrufe aus Rahmenvereinbarungen: Nach der alten Rechtslage konnten Abrufe aus einer im Sektorenbereich abgeschlossen RV im Wege von Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb durchgeführt werden. Unklar war die Zulässigkeit von Abrufen auf andere Arten (zB wie im klassischen Bereich durch erneuten Aufruf der Parteien einer RV zum Wettbewerb, sog. „Miniwettbewerb“). 316 BVergG 2018 gleicht den Auftragsabruf aus der RV im Sektorenbereich dem klassischen Bereich an (wobei dem Sektorenauftraggeber deutlich mehr Spielraum zukommt). So sind objektive Regeln und Kriterien für den Abruf vorzusehen. Dazu kann auch ein „Miniwettbewerb“ gehören (vgl § 316 Abs 1 iVm Abs 3). Die bisherige – dem Sektorenauftraggeber viel Flexibilität einräumende – Möglichkeit von Abrufen mittels Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb entfällt hingegen im BVergG 2018.
  • Rahmenvereinbarungen können nun aufgrund von Angeboten in Form von elektronischen Katalogen abgeschlossen werden (für den klassischen Bereich besteht seit dem BVergG 2018 die gleiche Möglichkeit). Nach den Gesetzesmaterialien ist ein elektronischer Katalog „ein systematisch strukturiertes Verzeichnis von Leistungen (meist Waren) in einem elektronischen Format, das zumindest Preisinformationen und Leistungsbeschreibungen enthält aber auch durch Abbildungen (Fotos) oder sonstige Informationen zur Leistung (zB Grafiken) ergänzt sein kann. […] Elektronische Kataloge können für sich bereits ein Angebot darstellen oder Teil eines Angebotes sein“. Für die Abrufe aus der Rahmenvereinbarung ist die Aktualisierung der elektronischen Kataloge möglich. Hierfür finden sich in § 316 Abs 2 und 3 BVergG 2018 detaillierte Regelungen.

Sachverhalt

Das Vergabeverfahren „Wettbewerblicher Dialog“ ermöglicht Auftraggebern, mit den Teilnehmern vor der Angebotslegung in einen Dialog zu treten und dabei die Lösung oder die Lösungen zu ermitteln, die ihre Bedürfnisse und Anforderungen am besten erfüllen. Ein solches Verfahren bietet sich insbesondere dann an, wenn der Auftraggeber aufgrund der Komplexität seiner Anforderungen noch vor der Einholung von Angeboten auf den Markt zugehen und geeignete Lösungen suchen möchte. Den besonderen Charme dieses Verfahrens macht aus, dass damit quasi eine Markterkundung und vorgezogene Verhandlungen in einem Vergabeverfahren kombiniert werden können.

Bis zum Inkrafttreten des BVergG 2018 gab es den wettbewerblichen Dialog nur im klassischen Bereich. Für den Sektorenbereich stand diese Verfahrensart aufgrund der damals anwendbaren EU-Richtlinie nicht zur Verfügung, weshalb Sektorenauftraggeber oft versuchten, diese Verfahrensart über Umwege nachzugestalten, vor allem über besonders gestaltete Verhandlungsverfahren.

Mit Inkrafttreten des BVergG 2018 können Sektorenauftraggeber nun auch auf den wettbewerblichen Dialog zurückgreifen (siehe § 203 Abs 9 iVm § 282 ff). Das Verfahren kann im Sektorenbereich sogar frei gewählt werden. Die inhaltlichen Bestimmungen des Sektorenbereichs entsprechen nahezu vollständig jenen des klassischen Bereichs. Einziger Unterschied: Im Sektorenbereich kann die Schlussphase nur mit einem Teilnehmer geführt werden.

Mit der Einführung des wettbewerblichen Dialogs im Sektorenbereich entsprach der Gesetzgeber dem Wunsch vieler Sektorenauftraggeber nach flexiblen Möglichkeiten zur Ermittlung geeigneter Lösungen. Da die Bestimmungen aus dem klassischen Bereich weitgehend übernommen wurden, können sich Sektorenauftraggeber an den im klassischen Bereich bereits durchgeführten wettbewerblichen Dialogen (und der dazu ergangenen Judikatur) orientieren.

Entscheidungsinhalt

Die vertiefte Angebotsprüfung dient der Überprüfung der Preisgestaltung auf ihre betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit. Jahrelang unbestritten war die Anwendbarkeit der für den klassischen Bereich ergangenen Entscheidungen zur vertieften Angebotsprüfung auch für den Sektorenbereich. Der neuen Sektorenbestimmung zur Angebotsprüfung ist allerdings die Wortfolge „vertieft prüfen“ verloren gegangen. Handelt es sich hierbei um ein legistisches Versehen oder doch um einen beabsichtigten Paradigmenwechsel?

Konkret wurde die Regelung des § 268 Abs 2 BVergG 2006 in § 300 Abs 2 BVergG 2018 folgendermaßen geändert: „Der Sektorenauftraggeber muss Aufklärung über die Positionen des Angebotes verlangen und gemäß Abs. 3 vertieft prüfen, wenn …“. Auch in den Vorgaben über das Vorgehen bei Mangelhaftigkeit der Angebote in § 301 BVergG 2018 und im Ausscheidenstatbestand des § 302 Abs1 Z 3 BVergG 2018 wird die vertiefte Angebotsprüfung nicht mehr erwähnt. Daraus könnte geschlossen werden, dass im Sektorenbereich keine vertiefte Angeboteprüfung mehr geboten ist, wäre da nicht die Überschrift des § 300 BVergG 2018: „Prüfung der Angemessenheit der Preise und vertiefte Angebotsprüfung“. Die Gesetzeserläuterungen sprechen dieses Thema nicht an.

Klar ist, dass die derzeitige Fassung des BVergG 2018 Unsicherheiten über die neuen Vorgaben zur Preisprüfung schafft. Gerade zur vertieften Angebotsprüfung gibt es umfangreiche höchstgerichtliche Judikatur und diese war auch auf die vertiefte Angebotsprüfung im Sektorenbereich anwendbar (VwGH 25.1.2011, 2008/04/0082). Entfallen die Vorgaben nun und muss für den Sektorenbereich ein völlig neues System der Preisprüfung geschaffen werden? Oder hat sich für Sektorenauftraggeber nichts geändert und es gibt die vertiefte Angebotsprüfung im Sektorenbereich nach wie vor?

Auf rechtsdogmatischer Ebene ist fraglich, ob mit der ausdrücklichen Nennung der vertieften Angebotsprüfung in der Gesetzesüberschrift diese nicht doch in Kraft gesetzt wird. Der VwGH hat dazu ausgesprochen, dass „dem Gesetzestext gegenüber einer Überschrift jedenfalls dann der Vorzug zu geben ist, wenn sich der Inhalt des Gesetzes und der Überschrift widersprechen“ (VwGH 4.7.1975, 2240/74). In einer anderen Entscheidung erkannte der VwGH, dass „die Überschriften eines Gesetzes, die nicht den Gesetzestext bilden, höchstens zur Auslegung herangezogen werden können, wenn der Gesetzestext selbst nicht eindeutig ist“ (VwGH 14.1.1987, 86/03/0227). Nun liegt bei § 300 BVergG 2018 verbal gesehen kein Widerspruch vor, sondern die Überschrift ergänzt allenfalls den Gesetzestext. Außerdem kann der Gesetzestext an sich nicht als „nicht eindeutig“ bezeichnet werden. Dem Gesetzgeber ist aber jedenfalls ein Fehler unterlaufen, entweder in der Überschrift oder im Gesetzestext. Nachdem im Zweifel dem Wortlaut des eigentlichen Gesetzestextes zu folgen ist, gehen wir davon aus, dass der Gesetzgeber eine Änderung in Form einer Erleichterung der Bestimmungen betreffend die Angebotsprüfung für den Sektorenbereich im Vergleich zur Vorgängerbestimmung beabsichtigte.

Für Vergabe-Praktiker ist aber vor allem interessant, ob sich ihre Vorgehensweise bei der Preisprüfung ändern muss.

Unbestreitbar ist, dass bisher festgelegte Formalanforderungen an die Durchführung der vertieften Angebotsprüfung entfallen. In § 301 Abs 2 BVergG 2018 sind nämlich wesentlich weniger Handlungsvorgaben an den Sektorenauftraggeber enthalten als im BVergG 2006 (früher hatte der Sektorenauftraggeber „insbesondere Erläuterungen in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit des gewählten Fertigungs- oder Bauverfahrens bzw. der Erbringung der Dienstleistung, die gewählten technischen Lösungen, außergewöhnlich günstige Bedingungen, über die der Bieter bei der Erbringung der Leistung verfügt, die Originalität der vom Bieter angebotenen Leistung, die am Ort der Leistungserbringung geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen oder die etwaige Gewährung einer staatlichen Beihilfe an den Bieter bei der Überprüfung entsprechend zu berücksichtigen“, heute hat er nur mehr „eine verbindliche Aufklärung zu verlangen“).

Aber auch die inhaltlichen Anforderungen an die Preisprüfung sind scheinbar gesunken. Der Sektorenauftraggeber darf zwar weiterhin nur Angebote ausscheiden, deren Preise nicht betriebswirtschaftlich erklär- und nachvollziehbar sind. Eine der vertieften Angebotsprüfung immanente Verpflichtung zur Prüfung der betriebswirtschaftlichen Erklär- und Nachvollziehbarkeit ist aber nicht festgelegt. Jedenfalls werden Sektorenauftraggeber weiterhin prüfen müssen, ob die Angebote eine nicht plausible Zusammensetzung des Gesamtpreises (zB spekulative Preisgestaltung) aufweisen, weil daran ein zwingender Ausscheidensgrund geknüpft ist. Auf welchem Niveau diese Prüfung stattfinden muss (zB wie tief der AG bei den Preisen ins Detail gehen muss und welche Arten von Nachweisen er fordern kann bzw muss) ist nicht festgelegt. Daraus ergibt sich ein größerer Spielraum für Sektorenauftraggeber.

Ergebnis/Fazit

Am 5. September 2019 findet das ARS Seminar „Sektorenvergaberecht NEU“ mit Stefan Unger (ÖBB Infrastruktur AG), Florian Kromer (ÖBB-Business Competence Center), Sebastian Feuchtmüller und Karlheinz Moick (beide FSM) statt. Sichern Sie sich Spezialwissen zum Sektorenvergaberecht des neuen BVergG 2018 für Ihre Vergabeverfahren. Mit praxistauglichen Musterformulierungen und aktuellen Fallbeispielen.

Weitere Informationen und Anmeldung.

Karlheinz Moick / Gabriel Kielbasa

WordPress Cookie Notice by Real Cookie Banner